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Demontage eines Öltanks – die Politik streitet darüber, wie hoch die Förderung ausfallen soll. Foto: Keystone

Bremser in der Politik: Bürgerliche Politiker sind privat oftmals umweltbewusst, im Parlament aber blockieren sie. Wissenschaftler Michael E. Mann nennt eine solche Haltung inkonsequent und ruft nach dem Staat.

Christian Brönnimann und Oliver Zihlmann

Selbst einer der weltweit führenden Klimawissenschaftler ist schockiert. «Ich war im Juli in der Schweiz und habe das selbst gesehen», sagt der Klimatologe Michael E. Mann. «Ich war wirklich erstaunt über die Geschwindigkeit des Rückgangs der einst majestätischen Gletscher in den Schweizer Alpen.»

Mann ist Atmosphärenwissenschaftler an der Pennsylvania State University. Er hat in den letzten 20 Jahren viele Bücher darüber geschrieben, wie man einen gefährlichen Klimawandel noch aufhalten kann. In seinem neuesten, preisgekrönten Buch «The New Climate War» erklärt er, warum man Umweltprobleme, vom Ozonloch über den sauren Regen bis zum Klimawandel, letztlich nur durch staatliche Regulierungen stoppen kann.

Persönliche Entscheidungen wie Flug- oder Fleischverzicht seien zwar wichtig. «Aber wir können es nicht allein schaffen», sagt er. «Unsere Politiker müssen jene Massnahmen unterstützen, die für die Dekarbonisierung der Wirtschaft notwendig sind. Das sind systemische Änderungen.»

Michael E. Mann: «Wir können es nicht allein schaffen.» Foto: Keystone

Streit um eine Milliarde

Laut Mann setzen auch Schwei-zer Politiker zu stark auf Eigenverantwortung und bremsen, wenn es darum geht, griffige Gesetze zu verabschieden. Konkret geht es um den Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, der heute im Ständerat debattiert wird und den Ausstieg aus fossilen Energien bis 2050 fordert.

Strittigster Punkt ist die Höhe der Subventionen für den Ersatz von Öl- und Gasheizungen und Gebäudesanierungen. Der Nationalrat möchte dafür während zehn Jahren maximal 2 Milliarden Franken bereitstellen. Doch eine Mehrheit von bürgerlichen Politikern der Energiekommission des Ständerats hat den Betrag auf eine Milliarde halbiert.

Sie argumentiert, 2 Milliarden seien für die zurzeit angespannte Finanzlage des Bundes zu viel. Zudem habe die Bau- und Energiebranche gar nicht genügend Kapazitäten. Bundesrat und Nationalrat widersprechen beidem. Vor allem aber könnte man mit den vollen 2 Milliarden den Ersatz von 100’000 klimaschädlichen Öl- und Gasheizungen erreichen. Das entspricht einer Million Tonnen CO2 weniger pro Jahr – mehr als 2 Prozent der gesamten Klimagase, die in der Schweiz ausgestossen werden.

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Initianten bereit zum Rückzug – falls der Ständerat mitmacht

Die Initianten haben ihre Bereitschaft signalisiert, die Gletscherinitiative zurückzuziehen. Dies wollen sie aber nur dann tun, wenn der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag zur Initiative, wie ihn der Nationalrat ausgearbeitet hat, nicht abschwächt. Die von der Energiekommission des Ständerats vorgeschlagene Halbierung der Fördergelder für Heizungsersatz und Gebäudesanierungen von 200 auf 100 Millionen Franken pro Jahr sei «nicht tragbar», schreibt das Initiativkomitee in einer Medienmitteilung. (red)

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Der Sparwille der bürgerlichen Ständeräte bremst also die CO2-Reduktion der Schweiz womöglich stark. Umso überraschender ist es, dass sie im Privaten vieles für das Klima tun.

«Wir haben vor zwei Jahren ein altes Haus abgerissen und ein neues energieoptimiertes Haus gebaut. Die Sanierung des alten Hauses wäre zwar günstiger gewesen, aber energetisch ein Unsinn. Wir haben das genau durchrechnen lassen», sagt Mitte-Ständerat Pirmin Bischof. Zudem führen er und seine Frau seit einiger Zeit vor allem E-Bike mit Anhänger und weniger Auto, um die Kinder zu transportieren. Und geflogen sei er seit zwei Jahren nicht mehr – nicht nur, aber auch wegen des Klimas.

«Symbolische Handlungen»

Auch FDP-Kollege Damian Müller sagt: «Was ich persönlich für das Klima machen kann, das mache ich.» Er habe schon immer sparsam gelebt, lösche das Licht, wenn er das Zimmer verlasse, fahre ein Elektroauto und habe eine Solaranlage auf seiner Immobilie. «Man wird immer sensibilisierter auf solche Fragen», sagt Müller. Bei Mitte-Ständerat Beat Rieder tönt es ähnlich: «Ich mache mein Möglichstes für den Klimaschutz, aber das gehört ins Private und nicht in die Medien.»

Politiker, die im Privaten umweltbewusst sind, aber im Parlament bremsen, seien «ein grossartiges Beispiel» für die Thesen aus seinem Buch, sagt Michael E. Mann. Ein Politiker wird mit persönlichen Entscheidungen wie Flug- oder Fleischverzicht höchstens einige Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Mit Gesetzen wie dem Heizungsersatz-Programm kann er hingegen auf einen Schlag dazu beitragen, dass Hunderttausende Tonnen CO2 wegfallen. «Lassen wir uns nicht von symbolischen Handlungen der Politiker ablenken», sagt Mann. «Was wir wirklich von ihnen brauchen, ist die Unterstützung von Massnahmen, die es den Menschen leichter und günstiger machen, ihr Leben zu dekarbonisieren.»

 

Mit freundlicher Genehmigung der Basler Zeitung. Artikel vom 16. 09. 2022. Autoren: Christian Brönnimann und Oliver Zihlmann